Du bist ein Gott, der mich sieht.
1. Mose 16, 13
Das ist eine ermutigende Losung, denke ich gleich.
Dahinter steckt jedoch eine Geschichte voller Dramatik.
Wir befinden uns zwischen den Zelten der Halbnomaden Abraham und Sara.
Das Problem der Frauen damals war - wie manchmal auch heute noch - dass Sara nicht schwanger wurde. Es mussten aber Kinder her. Des Ansehens wegen. Mehr noch: des Überlebens der Sippe wegen.
Die Lösung für möglichst viele Kinder war damals, dass ein Mann mehrere Frauen haben konnte. So entschloss sich auch Sara dazu, ihrem Abraham Hagar, ihre ägyptische Sklavin, als Frau bzw. Erzeugerin anzubieten. Ja, so war das damals.
Hagar wurde schwanger. Es war klar, die Eifersucht zog zwischen die Zelte. Es wurde so schlimm, dass Hagar es nicht mehr aushielt und verzweifelt in die Wüste lief.
An einer Wasserquelle sprach sie jemand an, der sie ermutigte, ihr Kind zu bekommen. Er sagte ihr, dass ihr Sohn zu einem großen Volk werden würde. Dafür solle sie zurückzukehren in die Sicherheit der Zelte - zwischen die Eifersüchteleien der Sara.
Verstanden hat Hagar diese Worte als die von einem göttlichen Boten. Das zeigt der Fortgang der Geschichte. Hagar entschied sich, tatsächlich zurückzukehren. Der Weg war nicht einfach. Sie ging ihn jedoch mit der Gewissheit, Gottes Ansehen zu genießen. Der folgende Satz kam aus ihrem Herzen:
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Viele Fragen ließen sich zu diesem schweren Schicksal, der Erzählung der Bibel stellen und den Auswirkungen bis heute zwischen den semitischen Völkern. Ich will jedoch fragen, was damals Hagar hoffen ließ. Und was lässt uns heute hoffen angesichts des Krieges in einem europäischen Land? Ich knüpfe dabei an eines unserer Themen im online Gesprächsabend an.
Ich las die Rede der diesjährigen Empfängerin des Marion-Dönhoff-Preises in der „Zeit“. Die russische Historikerin Irina Scherbakova beschreibt, dass sie angesichts des Krieges ihres Heimatlandes fast die Hoffnung verloren hätte. Sie erinnert sich daran, Frauen, die 25 Jahre Lagerhaft im sowjetischen Gulag überstanden hatten, befragt zu haben, was sie überleben ließ. Sie antworteten ihr: „Ich habe einfach nur gehofft.“ Die Hoffnung bestand darin, sich nicht entmenschlichen zu lassen, einander zu helfen und inmitten des Lagerstaubs wunderbare Büchlein, Ikonen und Stickereien entstehen zu lassen, die das Leben symbolisierten. Damit behielten sie ihre Würde.
Für Scherbakova liegt die Hoffnung im schonungslosen Blick, die Entwicklung der Katastrophe in Russland zu verstehen und sich damit den Ursachen und Folgen zu stellen.
Da ist er wieder der Blick, von dem Hagar spricht. Ich glaube, dass Gott ein Gott ist, der das Chaos ansieht, die Katastrophe, nicht davor wegläuft, ja, sogar schonungslos Klarheit schaffen will. Was geschah? Wie konnte es dazu kommen? Welcher Weg ist jetzt der richtige?
Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir unseren Kindern vermitteln, dass Gott nicht nur ein liebender Gott ist, sondern auch einer, der genau hinschaut. Nicht um uns niederzudrücken, sondern die Fehler zu erkennen und neue Wege zu suchen und sie mit uns zu gehen.
Ja, du bist ein Gott, der uns sieht.
Gehen wir in das Jahr 2023 mit dieser Sichtweise Gottes und lassen uns - wie Hagar - durch ihn leiten! Nehmen wir das Bild des Herrnhaag von oben mit als Erinnerung daran!